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Mad Dog

Ich habe vor einiger Zeit das Buch „Monster Kody“ gelesen. Es handelt von einem führenden Mitglied einer großen Gang in Los Angeles. Ich denke, es waren die Crips. Darin beschreibt Kody seinen Weg und seine Entwicklung innerhalb dieser Gang, in der er mit 27 Jahren schon als Veteran zählt, da sich die meisten seines Alters inzwischen gegenseitig umgebracht haben. In einer Szene wird erklärt, dass es besonders wichtig war, bei Begegnungen mit Konkurrenten ein möglichst bösartiges Gesicht aufzusetzen und die entsprechende Körperhaltung einzunehmen – Mad Dog genannt.

Im Mittelmeerraum, wie auch in vielen anderen Revieren der Welt ist es üblich über Nacht in einer geschützten Bucht vor Anker zu gehen. Besonders in den Hochsommermonaten Juli und August sind diese Buchten dann sehr gut besucht, so dass schon mal der Ankerplatz eng werden kann. Man kommt am Ende des Tages in eine solche Bucht, sucht sich einen geeigneten Platz mit genügend Abstand zu den Nachbarn aus, setzt den Anker mit ausreichend Kette, gräbt diesen in den Grund ein und kontrolliert den Halt mit der nötigen Rückwärtsfahrt, so dass die Kette voll ausgestreckt ist und der Anker tragen kann bzw. muss . Wir haben noch ca. 2 Bootslängen schräg achteraus zum Nachbarn. Die Maschine dreht mit 2000 U/min und die Peilung steht – der Anker trägt also gut.

Ah jetzt, jetzt hat uns der Nachbar also bemerkt. Er schießt aus seiner Plicht heraus , nach vorn ans Vorstag, schaut demonstrativ ins Wasser an seiner Ankerkette hinab und nun kommt es – Mad Dog!! Er macht Mad Dog, wie es Monster Kody vermutlich nicht besser gekonnt hätte! All meine Bemühungen dies zu ignorieren, laufen ins Leere, denn garantiert macht mich einer aus meiner Crew darauf aufmerksam. „Schau mal, schau mal, was machen wir falsch, wir sollen hier weg, was sollen wir tun??“ So oder ähnlich ist die unüberhörbare Ansage meines Mitseglers. Mad Dog freut sich, nimmt aber sofort wieder Stellung ein, um seine Ablehnung zu unserem Liegeplatz noch deutlicher zu machen. Manchmal begleitet noch von wildem Gestikulieren und Schimpfen.

„Gar nichts machen wir“ ist meine knurrige Reaktion aus Ärger darüber, dass ich meine Crew nicht rechtzeitig auf diese Situation vorbereitet habe. Nachdem wir unser Manöver zu Ende gefahren haben, die Maschine aus ist und das Gewicht der Kette uns wieder 2 Bootslängen nach vorn geholt hat, wird klar, dass die Aufregung von Mad Dog und auch ein wenig die darauf folgende meiner Crew völlig unnötig war. Viel eher mache ich mir Gedanken darüber, ob Mad Dog ordentlich geankert hat. So wie dessen Schiff aussieht, scheint er ein Urlaubssegler einer Charteryacht zu sein, dem die Seemannschaft nicht so sehr am Herzen liegt. Die Fender nicht weggestaut, die Festmacher liegen an Deck, das Segel nicht aufgetucht und das Dingi samt Außenborder während der Fahrt nachgezogen und nicht an Deck verstaut. In den Abendstunden wird der Wind drehen und somit werden auch wir uns drehen. Mad Dog kommt dann schräg vor uns zu liegen. Falls er das „übliche“ Ankermanöver gefahren hat, dann empfiehlt sich für uns die Augen etwas offen zu halten, zumal eine kleine Front durchziehen soll.

Ankern ist eine Kunst!! Diese wird leider viel zu wenig bzw. überhaupt nicht in der Prüfung zum SKS gefordert. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass das „übliche„ Ankermanöver so aussieht, dass auf den Ankerplatz gefahren wird, die Kette samt Anker eine unbestimmte Zeit gefiert wird, so dass auf dem Meeresgrund eine Pyramide entsteht, in deren Grabeskammer der Anker versteckt liegt. Dann noch ein wenig mit dem Fuß auf die Kette getreten und gewackelt , ein zufriedener Rundblick und …, fertig!!

Meist reicht das auch, wenn im Hochsommer kein Wind die Tragekraft des Ankers samt Kette fordert. Jedoch in dieser Nacht kommt eine kleine Front. Wir haben uns ohnehin auf ein wenig Ankerwache eingestellt und so wird uns an diesem Abend ein großartiges Kino auf dem Ankerplatz geboten!! Der Film heißt „Die kleine Front auf dem Ankerplatz“, Hauptdarsteller Mad Dog und Familie. Gegen 23.00 Uhr kommt ein wenig ablandiger Wind auf begleitet von ein paar Wolken mit ein paar Regentropfen. Auf den Schiffen werden, soweit nicht schon geschehen, die Bimini geöffnet und die Oberlichter geschlossen. Einige wenige nehmen Ihr Dingi samt Außenborder an Deck. Mad Dog steckt auch den Kopf heraus, schließt die Luken und verschwindet. Eine halbe Stunde später hat der Wind schon etwas zugenommen, alle Yachten haben sich ausgerichtet und die Ketten am Grund ausgereckt, der Anker kommt ab und an unter Zug. Mad Dog schaut wieder heraus und stellt fest, dass er nun querab von uns liegt. Nun ja die Pyramide hat sich ausgelegt, also alles klar und Mad Dog verschwindet wieder. Aber kurz darauf kehrt er zurück, da die Situation nicht ganz so klar ist, ein ungutes Gefühl und tatsächlich, wir liegen nun schon nicht mehr querab, sondern leicht voraus vor ihm. Also marschiert er nach vorn, mal nach dem Anker schauen. Er beugt sich über den Bugkorb , schaut ins dunkle Wasser , den einsetzenden Regen bemerkt er erst jetzt , als sein Pyjama nass wird. Nun öffnet sich auch noch das Oberlicht hinter ihm und eine Kinderstimme fragt was los ist, wie es ihm geht, was er macht. Begeisterung hört sich anders an, als seine Antwort. Er ist etwas unschlüssig und überlegt, ob er was machen sollte oder zurück kann ins Warme und Trockene.

Doch da, zu lange überlegt, warm und trocken fällt aus und auch die Wetterjacke ist nicht mehr erreichbar. Die kleine Front hat uns erreicht mit einer ordentlichen Bö und super Regen. Das Boot fängt an durch die Ankerbucht zu slippen direkt auf einen Traditionssegler mit dessen lang vorstehenden Klüverbaum zu. Also zum Steuerstand gehechtet, den Motor an, um die Rückwärtsdrift aufzufangen. Das Schlagen der nicht aufgetuchten Segel macht einen Heidenrabatz, so dass die Frau unter Deck sein Rufen nicht hört. Außerdem hat diese zu tun, die Kinder zu beruhigen. Was kann er tun, er muss mit dem Motor versuchen die Position zu halten oder besser noch herauszukommen aus dem engen Ankerplatz. Schwierig so allein und noch dazu mit dem Anker, den er an der Kette nachschleppt. Dass die Kette nun am Rumpf scheuert und neben viel Farbe auch den Bewuchs abreibt findet der Vercharterer vielleicht ja gut – geschenkt. Ganz sicher wird er nicht begeistert sein, dass der Wind das Dingi samt Motor umgedreht hat, so dass der Außenborder nun mit dem Motor im Wasser steckt – das war die Kaution!! Zu allem Übel dreht sich nun noch der Bug in eine völlig andere Richtung – der Anker hat sich in einer anderen Ankerkette eingehakt. Die Crew dieser Yacht springt auch schon auf und nieder aus Sorge, dass deren Anker nun herausgerissen wird.

Nun, lassen wir die kleine Bö nach einer halben Stunde vorbei sein, den Regen aufhören und erlösen wir unseren Mad Dog. Geschehen ist dies schon sehr häufig. Oftmals leisten wir dann auch noch Hilfe – trotz Mad Dog. Wir alle machen immer mal Fehler oder haben Probleme, deshalb lassen wir besser den Mad Dog im Keller und versuchen die Vorzüge der Seeleute, wie Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit zu stärken.

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