„Last order before close border “
Es ist ein Dienstagvormittag im März 2020. Das Thermometer zeigt 27 Grad. Im türkis leuchtenden Wasser reflektiert sich die Sonne. Ich sitze auf der ARCHIMED – einem 43 Fuß Katamaran vom Typ Bali – und beobachte die bunten Fische unter mir.
Unser jährlicher Winter-Törn hat uns dieses Mal nach Langkawi verschlagen.
Einen Monat lang durchkreuzen wir die traumhaften Gewässer zwischen der Andamanensee und der Straße von Malakka.
Von Langkawi aus segeln wir nördlich zu den thailändischen Inseln und wieder zurück.
Nicht weit entfernt ankert Atze mit der SANTA CRUZ.
Einer nicht mehr ganz taufrischen Catana 41.
Wir liegen schon den zweiten Tag im Süden vor Koh Lipe, einem thailändischen Inseltraum mit allem Drum und Dran.
Während sich in Europa „Corona“ zum Problem entwickelt, ist das hier auf den Inseln noch gar kein Thema.
Zumindest bis jetzt.
Atze und seine Crew wollen morgen zurück nach Langkawi segeln.
Meine Crew möchte noch einen Tag länger auf Koh Lipe bleiben.
Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Dinghy an Land.
Neben Einkaufen stehen Massagen, Bergbesteigung und ein Schnorchel-Ausflug auf dem Programm.
Ich fahre zum Schiff zurück und freue mich auf einen ‚Haushaltstag’ allein an Bord.
Rasieren ist längst überfällig, das Logbuch wartet auf die Einträge der letzten beiden Tage und der Skipper-Tisch ähnelt auch eher einem Teenager-Zimmer …
Atze will schon heute ausklarieren und fährt mit seiner Crew an Land, um das selbst für deutsche Verhältnisse bürokratisch-umständliche Ausreise-Verfahren zu erledigen.
Ich beobachte, wie das Dinghy übersetzt, und fange mit dem Rasieren an.
Gerade eingeseift, höre ich ein Boot näher kommen. Atze kommt zurück. Das ging ja fix – denke ich.
Er wirft mir die Leine zu und sagt:
„Matti, wir haben ein Problem!“
„Malaysia schließt um Mitternacht die Grenzen. Wir müssen so schnell wie möglich zurück!“
Nach kurzer Beratung rufen wir Clement, den Basisleiter von Dream Yacht auf Langkawi an.
Er bestätigt die Neuigkeit und rät uns zum direkten Aufbruch, da um 19.00 Uhr alle Behörden schließen.
Atze und ich schauen uns an. – Bis 19.00 Uhr im Immigration-Office auf Langkawi? Unmöglich!
Es ist kurz vor 12:00 Uhr und wir brauchen etwa 7 Stunden bis Lankawi.
Außerdem sind meine Leute irgendwo auf der Insel unterwegs.
Zum aller ersten Mal bin ich froh, Mitglied in einer WhatsApp-Gruppe zu sein.
Ich nehme mein Handy und schreibe: „In 10 Minuten alle am Immigration Office. – Kein Spaß!!
Ich hoffe, dass alle in WiFi-Reichweite sind und die Nachricht auch lesen.
Ich schnappe mir die Bootspapiere, alle Reisepässe, ein T-Shirt und springe ins Dinghy.
Zum Glück ist ‚high tide’. Ich kann direkt übers Riff auf kürzesten Weg zum Anleger vor dem Immigration-Office.
Festmachen. Motor aus. Sicherheitsleine ab. Hopp – raus auf den Steg.
Autsch! … heiß! heiß! heiß ! … Mist! … Badelatschen vergessen … in Tippel-Schritten laufe ich zur Immigration.
Ich setze mein freundlichstes Lächeln auf.
„ Hello Sir! I want to clear out with my crew. We must go back to Malaysia.”
„Malaysia? They close the border today!”
„Yes, I know, that’s why I’m in a hurry!“
„Okay. The boat papers?
Ich reiche die Bootspapiere und alle dazugehörigen An- und Abmeldeformulare durch die Luke im Fenster.
„Where is your crew?“
Ich schaue zum Strand. – Alle in Sicht.
Ich grinse den Beamten durch die Luke an:
„ All here, Sir.“
„ Passports.“
Ich schiebe die Pässe durch die Luke.
„Sir, you know, we are in a hurry, please .“
Drei Minuten später schiebt mir der – gefühlt – schnellste Beamte Südostasiens alle Pässe und Papiere komplett abgestempelt durch die Fensterluke zurück.
„How much?“, frage ich und sortiere schon die Scheine.
„No Money. Go, go, go … Good Luck !“
„Kop Khun Khrap”, bedanke ich mich mit einer Verbeugung.
Alle ab ins Dinghy.
Quer übers Riff zurück zum Schiff.
Maschinen an.
Dinghy hoch.
Luken dicht.
Leinen los.
Ab geht’s.
„Kurs: 120 Grad!“
Ich rufe noch mal Clement von Dream Yacht an und gebe durch, dass Atze und ich auf dem Rückweg zur Basis sind. Er rät mir, nicht direkt zur Basis zu kommen, sondern die nördlicher gelegene Marina in Telaga Harbour anzusteuern. Das seien 3 Seemeilen weniger und dort sei auch ein Immigration Office. Unsere beste Chance, so Clement.
„Neuer Kurs: 106 Grad!“
Ich funke Atze an und gebe die Info durch.
Da die SANTA CRUZ nicht so schnell ist wie die ARCHIMED, entscheiden wir, dass ich vorausfahre.
Also: „Volle Kraft voraus!“ … „Beide Hebel auf den Tisch!“
Mit etwa 6,5 Knoten steuern wir Langkawi entgegen.
An Bord weicht langsam die Anspannung und etwas Ruhe kehrt ein.
Wenn nichts passiert, könnten wir es bis sieben Uhr schaffen.
++++ KNALL !! KLATSCH !! PLENG !! PLENG !! KNAUTSCH !! ++++
„F**K“ … „Maschinen sofort stoppen!!“
Eine Leine vom Flaschenzug am Dinghy-Kran ist gerissen.
Das Beiboot hängt nur noch an einer Seite und schleift mit der anderen im Wasser hinterher.
Wir nehmen Fahrt raus, fixieren das Dinghy, holen den Außenbordmotor an Bord und tauschen die gerissene Leine aus.
Weiter geht’s.
Langkawi kommt in Sicht.
Doch was passiert da vor uns?
Drei Fischerboote mit Schleppnetzen schieben sich in unseren Kurs.
Das Umfahren kostet uns fast 15 Minuten.
„ Neuer Kurs: 96 Grad! – Richtung: Einfahrt – Telaga Harbour”
Langkawi kommt näher und die Sonne sinkt immer tiefer.
Eine Meile vor der Einfahrt taucht sie als roter Feuerball ins Meer.
Es ist zehn Minuten vor Sieben.
Exakt 9 Minuten später legen wir an der Tankstelle in Telaga Harbour an.
Simon springt raus. Bianca reicht ihm die Bootspapiere und Pässe. Er sprintet los zum Immigration Office.
Wir machen die ARCHIMED fest und rennen hinterher.
Geschafft!
Kurz nach 19 Uhr steht die komplette Crew im Immigration Office.
Der Beamte ruft seinen Vorgesetzten an, um nachzufragen, ob er uns noch einreisen lassen dürfe. – Er darf! – Er reicht uns die Formulare zum Ausfüllen über den Tresen.
Mit dem Handfunkgerät rufe ich die SANTA CRUZ.
… „Matti, für SANTA CRUZ“ – „SANTA CRUZ hört.“ – „Wie lange braucht ihr noch?“ – „Passieren gerade das Kap. Noch etwa 20 bis 30 Minuten …“
Okay. Zeit gewinnen!
Wir füllen die Formulare gaaanz langsam aus und erklären dem Beamten, dass unsere Freunde gleich da sind und auch noch einklarieren möchten.
Er nimmt die umgerechnet 20 Euro lächelnd an und sagt, dass er warte.
Wir gehen zurück zum Schiff. Inzwischen ist es dunkel.
In der Hafeneinfahrt tauchen die Positionslichter der SANTA CRUZ auf. Wir legen ab, um Platz zu machen.
Im Hafenbecken warten wir, bis Atze angelegt hat.
Dann fahren wir aus dem Hafen, schieben uns um andere, auf Reede liegende Boote und lassen den Anker fallen.
Wenige Minuten später klickt der Funk: „Die SANTA CRUZ ist einklariert!”
Jepp … „Kühlschrank auf!!!“
„First order after close border“
Matti